Homo Ludens trifft KI – Wie Künstliche Intelligenz das spielerische Lesen verändert

Liebe Leser:innen,

Der erste Artikel zeigte auf, wie das Konzept des Homo Ludens von Johan Huizingas auf das Lesen angewendet werden kann – als eine freiwillige, regelgeleitete und sinnstiftende Tätigkeit, die Lernen und Freude miteinander verknüpft. In diesem Zusammenhang fungieren Verlage als „Spielgestalter“, die durch interaktive Formate, kreative Buchideen und narrative Vielfalt das Lesen zu einem Spiel machen.

Neue Spielmöglichkeiten: KI in der Literaturproduktion

Wie ändert sich dieses Spiel, wenn Künstliche Intelligenz dazu kommt? Wenn Inhalte nicht nur gedruckt, sondern auch dynamisch erstellt werden – zugeschnitten auf die Leser:innen, personalisiert und interaktiv? Obwohl die Funktion von KI in der Buch- und Verlagsbranche noch neu ist, bietet sie für Verlage völlig neue Möglichkeiten für das Prinzip des Homo Ludens – mit Chancen und Herausforderungen.

Künstliche Intelligenz kann nicht nur die effiziente Erstellung von Inhalten ermöglichen, sondern auch die Art und Weise verändern, wie Geschichten erzählt, gelesen und erlebt werden. Im Unterschied zu klassischen, statischen Büchern können KI-gestützte Formate dynamisch auf die Lesenden reagieren.

Mit Hilfe der KI höchstpersönlich und weiteren Quellen habe ich nach verschiedenen Ideen für Verlage gesucht, die das spielerische Lernen und die Leselust unterstützen.

Durch KI können Bücher zu interaktiven Erlebnissen werden, die die Leser:innen aktiv einbeziehen.
Lerntexte können adaptiv an das Wissen der Leser:innen angepasst werden.
Texte und Übungen können an die Fähigkeiten der Leser:innen mit Lern-/ und Leseschwächen angepasst werden.
Inhalte können auf die persönlichen Interessen abgestimmt und Stil, Wortwahl oder Thema individuell angepasst werden.
Bei digitalen interaktiven Geschichten kann die KI auf Eingaben reagieren und alternative Handlungsverläufe erstellen.
Generierte spielerische Elemente können die Motivation steigern und eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Inhalt fördern.

Solche Anwendungen setzen genau an dem Punkt an, den Huizinga mit dem Spielcharakter hervorhebt: Die Leser:innen können sich von passiven Rezipient:innen zu aktiven Mitspieler:innen in einem dynamischen, offenen Textsystem entwickeln.

Verlage und KI – Beispiele für spielerische Anwendungen

Immer mehr Verlage und Plattformen wagen Experimente mit KI – oft zunächst vorsichtig, aber zunehmend immer innovativer. Einige Start-ups und Bildungsplattformen wie „StoryWizard.ai“ bieten zum Beispiel die Möglichkeit, durch einfache Eingaben eigene Geschichten zu erstellen – mit personalisierten Namen, Schauplätzen oder Lerninhalten. So werden Eltern und Kinder zu Co-Autor:innen. Dies vereint Spiel, Sprache und Bildung – ganz im Sinne von Huizingas Kulturspiel.

Mit Hilfe von Spracherkennung und Lesefortschrittsanalysenbieten Apps wie „eKidz“ oder „Bookbot“ eine individuelle Unterstützung für Kinder beim Erlernen des Lesens. Die Texte sind eine Reaktion auf das Verhalten der Lesenden, geben Rückmeldung, motivieren durch Belohnungen und verwandeln das Lesen in ein digitales Spiel.

Auch der Schweizer Kaleidoskop-Verlag, der das Kinderbuch „Mia, Finn und der kleine Roboter Ki“ herausbrachte, ist ein Beispiel. Dieses Buch entstand in Kooperation zwischen menschlichen Schriftstellern und der KI GPT-3. Die Geschichte, die von vier Personen und der KI gemeinsam verfasst wurde, behandelt die Einbindung von KI in das tägliche Leben. Das Buch demonstriert, wie KI in kreative Abläufe integriert werden kann, um neue Erzählformen zu schaffen.

Aber das waren nur drei von vielen Beispielen zu diesem Thema. Eines ist klar: Folgen werden ihnen immer mehr.

Chancen und Grenzen

Die Möglichkeiten sind enorm: Mit KI kann das Lesen zugänglicher, maßgeschneiderter und spielerischer gestaltet werden. Vor allem im Bildungsbereich bieten sich neue Möglichkeiten, um schwierige Sachverhalte auf spielerische Art und Weise zu lehren. Auch für Personen, die Schwierigkeiten beim Lernen oder Lesen haben, könnten KI-gestützte Formate neue Möglichkeiten eröffnen, mit Literatur in Kontakt zu treten.

Punkte die man allerdings hinterfragen sollte sind zum Beispiel:

Verlust der Autorschaft und Originalität: Im Bereich der maschinellen Textgenerierung ist die Trennung zwischen kreativem Spiel und algorithmischer Wiederholung nicht mehr klar.
Inhaltsqualität und Kontrolle: Wie stellen Verlage sicher, dass KI-generierte Inhalte korrekt, ethisch vertretbar und inhaltlich sinnvoll sind?
Beeinflussung oder Spiel? Gamifizierte Elemente können auch dazu führen, dass eine Sucht entsteht oder dass man „durchklickt“, ohne wirklich zu begreifen.

Das Prinzip des Homo Ludens sollte hier nicht falsch verstanden werden: Bei Huizinga ist das Spiel stets freiwillig, sinnstiftend und kulturell eingebettet. Der Rahmen sollte durch KI nicht aufgelöst werden; sie soll ihn vielmehr erweitern.

Fazit: Homo Ludens in der digitalen Zukunft

Huizingas Idee des Homo Ludens ist im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz aktueller denn je. In einer automatisierten Welt brauchen wir Orte, die Spiel, Freiheit und kulturelle Selbstbildung ermöglichen. Lesen – mit Unterstützung von KI – kann einen solchen Ort bieten.

Verlage können dabei eine vermittelnde Rolle einnehmen. KI kann dabei nicht nur als Unterstützung in der Produktion genutzt werden, sondern auch als kreatives Werkzeug dienen, um das spielerische Lesen neu zu konzipieren. Gelingt dies, bleibt der Mensch auch im digitalen Raum ein Homo Ludens – neugierig, entdeckend und lernend.

Autor*in: Emma Zoé Bähr

Lektorat: Sophia Bellmann

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