Ein Gespräch zum Urheberrecht mit dem Rechtsanwalt Christoph Endell

Verlage der Zukunft führte mit dem Rechtsanwalt Christoph Endell ein Interview über das Urheberrecht aus juristischer Sicht. Endell arbeitet in der auf gewerblichen Rechtsschutz spezialisierten Sozietät Lubberger Lehment in Berlin. Dieses Jahr publizierte er gemeinsam mit Paula Deus das Buch „Kreative Leistungen schützen. Geistiges Eigentum in der Kreativwirtschaft“.

Zuerst einige Begriffsklärungen: Geistiges Eigentum, Immaterialgüter, es gibt so viele ähnliche Begriffe, welcher ist denn nun der richtige?

Die Begriffe „geistiges Eigentum“, „Immaterialgüterrechte“ und „gewerblicher Rechtsschutz“ sind fast deckungsgleich. Allerdings beschreibt der Begriff des geistigen Eigentums nicht denselben Eigentumsbegriff, wie es bei Sachgütern der Fall ist, weshalb es oft zu Verwirrungen kommt. Daher ist der Begriff Immaterialgüterrecht am eindeutigsten. Man kann immaterielle Güter teilen, ohne dass etwas verschwindet. Man kann sie auch nicht anfassen – sie sind eben nicht materiell. Im juristischen Zusammenhang ist in Deutschland „gewerblicher Rechtsschutz“ allerdings am gebräuchlichsten. Es wird dadurch auch schnell klar, dass dieser Rechtsbereich traditionell auf den gewerblichen Bereich, also den B2B-Bereich, abzielt. In diesem Bereich funktioniert das Recht auch heute noch sehr gut. Aber im Zuge der Digitalisierung und der allgegenwärtigen Vernetzung berühren diese Rechtsgebiete, wie etwas das Urheber- oder Markenrecht, plötzlich auch den Verbraucher.

Wenn beispielsweise ein Verbraucher auf ebay ein Produkt verkaufen möchte und für eine Jeans von Levi’s mit dem Hinweis „ähnlich wie Diesel“ wirbt, verstößt er gegen geltendes Recht. Und das wird teuer. Überall dort, wo die gewerblichen Rechte mit den Verbrauchern kollidieren, kommt es zu Abmahnungen mit Streitwerten, die für einen Verbraucher überraschend hoch sein können. Bei Urheberrechtsverstößen geht es schnell um 30.000-50.000 Euro. Das ist im Vergleich zu einem Verkehrsunfall, wo es auch mal um Schäden von 2.000 Euro geht, ein enorm gestiegenes Kostenrisiko für „private“ Urheberrechtsverstöße.

Wer ist nach heutigem Recht ein Urheber? Durch was zeichnet er sich aus und wann besitzt er Rechtsansprüche?

Das Besondere ist, dass jeder von uns Urheber ist. Denn wir alle haben urheberrechtlich geschützte Werke geschaffen, etwa indem wir Briefe oder Blogs schreiben, fotografieren oder zeichnen. Nicht nur Profis sind Urheber, deshalb darf auch jeder mitdiskutieren. Urheber ist grundsätzlich jeder, der ein Werk im Sinne des Urheberrechts schafft.

Wodurch ist ein Werk gekennzeichnet?

§2 UrhG gibt einige Beispiele, da sind die klassischen Werkarten genannt, wie etwa Musik oder Werke der bildenden Kunst. Das Urheberrecht lässt aber auch Raum für neue Werke zu, wie Mash-Ups oder Remixes und auch die Verwertungsgesellschaften öffnen sich dem Internet. Bei der VG Wort können zum Beispiel auch Blogposts angemeldet werden.

Letztlich ist für ein Werk vor allem die Schöpfungshöhe ausschlaggebend. Das Problem ist nur, dass niemand ganz genau weiß, was das eigentlich ist. Es geht um die künstlerische Leistung, die sich vom alltäglichen Schaffen abheben und einem Schöpfer eigen sein muss. Werbetexte oder Anwaltsbriefe etwa werden daher teilweise nicht als Werke anerkannt. Im Zweifelsfall kann das nur ein Gericht entscheiden.

Wie sieht das mit Auftragswerken aus, zum Beispiel bei Ghostwritern?

Auftragswerke von Autoren werden üblicherweise geschützt, zumal Text aus geschichtlichen Gründen als eine Königsdisziplin des Urheberrechts gilt. Deshalb haben auch Ghostwriter theoretisch ein Recht auf Namensnennung – das sie aber nicht wahrnehmen – und auch im Auftrag geschriebene Werke sind vollumfänglich geschützt.

Was passiert, wenn z.B. 50 Personen an einem Buch oder Manuskript online schreiben, dieses bearbeiten und veröffentlichen?

Als sich das Urheberrecht im 19. Jahrhundert entwickelte, kannte man solche kollaborativen Arbeitsmethoden nicht. Doch schon in der Filmbranche hat sich gezeigt, dass es unzählige Rechteinhaber bei einem Werk geben kann, vom Regisseur über den Kameramann und den Drehbuchautoren bis zu den Schauspielern. Deshalb gibt es für die Filmbranche schon lange einen Katalog mit Sonderregelungen.

Diese Situation gibt es nun auch bei Texten. Sonderregeln gibt es nicht – die Probleme massenhafter Kollaborationen kann man aber mit Lizenzverträgen in den Griff bekommen. So macht es zum Beispiel Wikipedia. Wenn es beispielsweise um die Namensnennung geht, erklären sich die Autoren bereit, dass ihre Nennung in der Versionsgeschichte ausreicht. Wichtig ist auch, dass die Anteile am Werk vertraglich vor dem Crowdsourcing geregelt werden und nicht erst, wenn man schon auf dem Markt ist. Später kann kaum noch nachvollzogen werden, wer welche Beiträge zum Werk erbracht hat. Im Zweifelsfall hat jeder einen gleichen Anteil an den Rechten am Werk.

Welche Fälle behandeln Sie? Haben Fälle, bei denen es um Urheberrechtsverstöße geht zugenommen oder werden diese nur strenger verfolgt?

Wir versuchen meist, im Vorfeld zu beraten, damit es gar nicht erst zu Verstößen kommt, überlegen mit dem Mandanten, welche Rechte bei Lizenzgeschäften eingeräumt werden müssen und entwerfen die Verträge. Urheberrechtsverstöße sind heute mehr im Bewusstsein der Öffentlichkeit, weil es im Netz viel mehr Möglichkeiten gibt, das Urheberrecht zu verletzen. Das gilt übrigens auch für Firmen oder Kreative, die oft selbst nicht wissen, was sie im Netz dürfen und wo die Verletzung von Rechten anderer beginnt.

Gerät unser Gesetz an seine Grenzen, weil die Verfolgbarkeit nicht mehr gewährleistet werden kann?

Nicht jedes Gesetz muss vollständig durchsetzbar sein, um zu funktionieren. Denken Sie etwa an häufige Delikte wie Ladendiebstahl – hier würde niemand auf die Idee kommen, das StGB abzuschaffen. Gesetze setzen auch moralische Maßstäbe und Anreize, sich richtig zu verhalten.

Stellt es nicht das Gesetz in Frage, wenn es nicht verfolgbar ist?

Nicht unbedingt. Denn nehmen wir mal das Thema Kinderpornografie: Es gibt immer Menschen, die das Gesetz umgehen können und sich im Internet dank Proxy und Umleitungen Kinderpornografie beschaffen, dennoch würde kaum einer Gesetze gegen Kinderpornografie in Frage stellen. Das Urheberrecht befindet sich in einer Krise, aber an der fehlenden Verfolgbarkeit der Verstöße liegt das nicht. Es ist stellenweise einfach etwas aus der Zeit gefallen.

Gibt es Vorschläge, wie das Urheberrecht anders gestaltet werden könnte?

Der im Gesetz angelegte Dualismus von Urheber und Verwerter ist so nicht mehr stimmig, da das Urheberrecht nicht mehr rein gewerblich genutzt wird, sondern in Kontakt mit dem Verbraucher kommt. Es muss neu zwischen den drei Akteuren Urheber, Verwerter und Verbraucher ausgerichtet werden. Letzterer findet im aktuellen Recht kaum Berücksichtigung. Ursprünglich richtete sich das Urheberrecht fast ausschließlich an den gewerblichen Bereich. In Zukunft wird es darum gehen, auch den Verbraucher im Gesetz anzusprechen. Dabei wird es wichtig sein, einen neuen Verbraucherbegriff umzusetzen. Der heutige Nutzer von Inhalten will nicht nur konsumieren, sondern sich auch interaktiv beteiligen, durch Remixes oder YouTube-Videos zum Beispiel. Er wird daher selbst wieder zum Urheber und nimmt eine aktive Rolle im medialen Geschehen ein. Wenn das Gesetz dies widerspiegelt, wird es auch wieder mehr Akzeptanz erfahren.

Gab es schon ähnliche Fälle in der Vergangenheit, wo Recht und Praxis so stark abgewichen sind? Wie wurde das gelöst?

Recht bildet die Wirklichkeit immer verzögert ab und hinkt ihr mindestens 10 Jahre hinterher. Bis die Politik neue Entwicklungen wahrnimmt und den meinungsbildenden Prozess durchlaufen hat, dauert es meist Jahre. Auch heute haben wir eine Situation, in der sich die Wirklichkeit ändert: Alte Geschäftsmodelle, die oft auf top-down-Modellen basieren, werden durch die digitale Revolution vor große Herausforderungen gestellt. Das zeigt sich an den Einbrüchen von CD-Verkäufen, aber auch zum Beispiel daran, dass mehr Leute Spiegel Online lesen als das eigentliche Magazin.

Solche Situationen des Umbruchs gab es aber schon häufiger. Zunächst wehren sich alte Geschäftsmodelle gegen diese Zeitenwende, auch mit Hilfe von Gesetzen. Letztlich setzt der technische Fortschritt sich dennoch durch.

Können Sie da ein konkretes Beispiel nennen?

Ähnliche Probleme gab es im Zeitalter der Industrialisierung. Da wurden zum Beispiel Kutschen und Eisenbahn vom Auto abgelöst. Der Individualverkehr stellte für die Eisenbahn eine Gefahr da und so sorgten die mächtigen Eisenbahnbarone in Großbritannien 1865 und später auch in den USA für das Red Flag Gesetz. Das besagte, dass jeder, der ein Auto fahren will, einen Mann braucht, der voran geht, eine rote Fahne schwenkt und in ein Horn bläst, um die Pferde nicht scheu zu machen. Ein klarer Fall eines Gesetzes, das gegen ein bestimmtes Geschäftsmodell erlassen wurde. Dieses Gesetz galt 31 Jahre lang und verhinderte den Fortschritt hin zum Autoverkehr zunächst, letztlich war er aber unausweichlich. Heute sind Bahn und Auto übrigens gar keine Gegensätze, sondern ergänzen sich bestens. Es wäre schön, wenn die aktuell an der Debatte Beteiligten eine solche Koexistenz der Lebens- und Geschäftsmodelle ebenfalls vor Auge hätten.

Dieser Prozess der politischen Meinungsbildung, die auf reale Anforderungen nur langsam reagiert, ist also nicht nur dem Urheberrecht vorbehalten. Man sieht das beispielsweise an der Regulierung des Bankensektors heute, die uns sicher auch in den kommenden Jahren beschäftigen wird. Im geschichtlichen Kontext wird deutlich, dass die gesellschaftlichen Veränderungen immer schneller voranschreiten als die rechtliche Umsetzung. In einer Demokratie braucht die Anpassung der Gesetze ihre Zeit. Es wird aber bereits an vielen kleinen Stellschrauben gedreht, etwa bei der Begrenzung von Abmahngebühren bei Verbrauchern oder der Einführung des Leistungsschutzrechtes für Verlage.

Solange es zu diesem Thema aber keine Mehrheitsmeinung gibt, wird es auch keine große Reform geben. Die Debatte läuft erst seit 5-8 Jahren und auch jetzt gibt es noch keine vielversprechenden Lösungsansätze. Meiner Meinung nach ist die Zeit noch nicht reif für tiefgreifende Reformen, da sich noch kein Konsens bei allen Beteiligten gebildet hat, wie ein neues Urheberrecht auszusehen hat. Viele Schriftsteller etwa sind erst dieses Jahr in die Debatte eingestiegen. Langsam kommt aber die Diskussion in Gang. Die Betroffenen beginnen sich weiterzubilden und die politischen Parteien haben immer kompetentere Referate und werden ernstzunehmende Diskussionspartner.

Josephine Mitze
Lea Herter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert