Wibke Ladwig: „Durch Twitter können Verlage direktes, unverfälschtes Feedback erhalten“

Vom Social Web, wie man es erfolgreich für die Verlagsbranche einsetzt und warum es so viel Spaß macht. Ein Interview mit Wibke Ladwig, Online Managerin und Miss Book Fair 2010.

 

Erlaubnis via E-Mail am 02.12.2010 15:38 erhalten (der Autor)
© Wibke Ladwig

Wibke Ladwig, Sie sind seit 1998 in der Buchbranche, waren u.a. als Buchhändlerin tätig, haben für den O’Reilly Verlag, die Patmos Verlagsgruppe gearbeitet und sind jetzt freiberufliche Online Managerin. Was genau machen Sie?
Als Online Managerin bewege ich mich an der Schnittstelle zwischen Internet und Unternehmen. An dieser Schnittstelle geht es mir vor allem um gelungene Kommunikation mittels Corporate Website, Online PR und Marketing sowie Social Media. Konkrete Projekte sind aktuell Konzeption einer Website mit Aufbau einer Community inklusive Online PR, Social Media, Web Controlling und SEM (Suchmaschinenmarketing), Konzeption und Realisierung eines Social Network sowie demnächst ein Workshop zur Klärung von Verlagszielen in Web 2.0-Projekten.

Mit Ihren Aktivitäten im Social Web sind Sie einer der bekanntesten Köpfe unserer Branche. Wie macht man das und worin liegt Ihr Geheimnis?
Ich glaube, da muss man differenzieren zwischen den Büchermenschen, die im Social Web unterwegs sind und der nach wie vor recht munteren Welt 1.0 der Buchbranche. Für die Erstgenannten mag Ihre Aussage vielleicht zutreffen. Ich bin mir bewusst, dass wir uns alle in Parallelwelten aufhalten.
Die großartigen Kontakte, die durch das Social Web entstanden sind und die ich meist recht aktiv „angequatscht“ habe, schätze ich über die Maßen. Ich finde von jeher, dass sich in unserer Buchbranche recht viele spannende Menschen versammeln. Mich interessiert, wer sich außer mir mit Online-Themen, Büchern, Sprache, gesellschaftlichen Umbrüchen, Medienwandel, Digitalisierung und so weiter beschäftigt und was für Menschen sich hinter den Aussagen bei Twitter und Facebook verbergen. Und ich finde es klasse, diese Menschen real kennenzulernen.
Vielleicht ist das Geheimnis, wenn man es so nennen möchte, schlicht Neugier. Wie auch ein gewisses Mitteilungsbedürfnis. Ich habe kein Problem damit, im Social Web persönlich und direkt zu sein, ohne jedoch – nach meinem Empfinden – unverhältnismäßig privat zu werden.

Ihre Twitter Statistik habe ich mir via TweetStats genauer angesehen. Im Monat Oktober 2010 haben Sie 1649 Tweets verschickt, das macht etwa 55 pro Tag. Sind Sie twittersüchtig?
Wie alle Statistiken sagt diese Statistik alles und nichts. Durch mein iPhone bin ich schon recht früh am Tag dabei. Zum Frühstück lese ich die ersten Mails, Blogbeiträge und Tweets. Oftmals tweete und retweete ich Informationen, Links und Hinweise auf Blogs, Brancheninformationen, Nachrichtenmagazinen, Studien. Da kommen rasch etliche Tweets zusammen. Ich sitze meist allein in meinem Büro und habe durch Twitter und Facebook meine Kollegen quasi gegenüber am Schreibtisch sitzen. Da ergeben sich oftmals nette, herzerwärmende und auch durchaus ernsthafte Schlagabtäusche und Diskussionen.
Ich würde auf Twitter nicht verzichten wollen. Ich bin so gut informiert wie niemals zuvor, weil ich den richtigen „Trüffelschweinen“ folge. Ich schätze außerdem meine Twitterkontakte und den Austausch dort, der, smartphonebedingt, manchmal erst am späten Abend endet.
Twittersüchtig also nur insofern, als dass ich auch nicht mehr auf meinen Computer oder mein Fahrrad verzichten wollen würde.

Über was schreiben Sie und warum nutzen Sie dazu die Microblogging Anwendung Twitter?
Die Themen sind vielfältig – siehe Parallele zu Gesprächen an der Firmenkaffeemaschine. Es geht um die Branche, Digitalisierung, Social Media, Veranstaltungen (Kongresse, Messen, BarCamps) Internet, Politik, Gesellschaft, Recht, Design, Typographie, Kultur, Film und Sprache. Essen bzw. Kochen, Musik und Bücher spielen in meinen Tweets eine nicht minder große Rolle. Ich erhalte über Twitter, indem ich den entsprechenden Twitter-Accounts folge, fangfrische Neuigkeiten und Links zu Beiträgen, die ich auf anderen Kanälen nicht oder nur mühsam finden könnte. Ich wiederum füttere meine Follower ebenso, tausche mich mit ihnen aus und erreiche damit viele interessierte Menschen, die ich auf anderen Wegen nicht erreichen oder „kennenlernen“ würde.
Twitter ist schnell und schräg, dort hat sich eine ganz eigene Sprache entwickelt, Twittervirtuosen schaffen mit wenigen Zeichen ganze Welten und Geschichten, die Twitter-Gemeinde ist politisch, engagiert, schnell erregt, sprunghaft und kritisch.

Wie können Verlage von Twitter profitieren?
Ich sehe für Verlage gute Chancen, über Twitter interessierte und engagierte Unterstützer zu finden. Seien es Leser, Käufer, Autoren, Journalisten, Blogger oder Mitarbeiter. Je genauer die Kenntnisse über die Zielgruppen sind, desto besser und gezielter kann man Informationen aufbereiten. Als reiner Push-Kanal von Pressemitteilungen ist Twitter aber nur bedingt geeignet. Durch Twitter können Verlage direktes, unverfälschtes Feedback erhalten und Inspirationen, um Inhalte zu schaffen, die für diese Zielgruppe interessant sind. Wichtig ist Dialogbereitschaft, fehlende Angst vor dem Kontrollverlust durch das Social Web und ein Anerkennen des gesunden Menschenverstandes.

Auf der Frankfurter Buchmesse wurden Sie zur Miss Book Fair 2010“ gekrönt. Welche Bedeutung haben solche Aktionen in Form eines Web-Contests für die Buch- und Verlagsbranche?
Der Miss- und Mister-Book-Fair-Contest ist aus einer munteren, abendlichen Hin und Her Twitterei entstanden und hat sich in den folgenden Wochen bis zur Buchmesse soweit verselbständigt, dass dann tatsächlich eine Krönung vor Ort inklusive Krönchen und Presse-Blitzgewitter stattfand.
Den Contest finde ich deshalb für die Buchbranche bedeutend, weil die Büchermenschen aus der Social Web-Welt hier erstmals mit einer Aktion präsent waren, über die auch in der Branchenpresse berichtet wurde.

Nennen Sie uns bitte weitere wichtige Social-Media-Treffen für die Buch- und Verlagsbranche.
Das erste Twittagessen fand, soweit ich weiß, 2009 auf der Buchmesse in Frankfurt statt. Damals mit einer Handvoll Twitterer. Diesmal (Anm. der Redaktion: gemeint ist die Frankfurter Buchmesse 2010) reihte sich ein Social Media-Treffen ans nächste. Neben diversen Twittagessen waren bei der hotspotting: book.people in social media-Party etwa 150 Gäste anwesend und Buchbranche 1.0 und 2.0 mischten sich fröhlich.
Etliche Treffen von Social Media-Büchermenschen im „Real Life“ fanden und finden in diesem Jahr statt, von Books & Brains in Hamburg über verschiedene BuchSW (BuchSocialWeb)-Treffen bis hin zum ersten Quasselcamp in Köln, das ich veranstalte.
Im Mai 2011 findet das zweite Buchcamp des Forum Zukunft statt, über das sich dieses Jahr viele Kontakte ergeben hatten.
Daraus entsteht nicht nur ein fruchtbarer Austausch und eine Solidarität untereinander, sondern erste konkrete Projekte sind in der Planung.

Wagen Sie einen Blick in die Glaskugel. Was kommt nach Facebook, Twitter bzw. dem Web 2.0? Nennen Sie mir Ihre zukünftige (gern verrückte) Prognose?
Ich bin schrecklicher Optimist, fürchte ich. Ich sehe, dass sich den Menschen durch das Social Web neue und mehr Möglichkeiten zum Mitmachen und Mitgestalten eröffnen. Dass bisher selbstverständliche Autoritäten in Politik und Wirtschaft gezwungen sind, sich hinterfragen zu lassen. Dass Menschen mit Ideen und Visionen einander erkennen und gemeinsam Dinge anschieben können. Dass sich durch das Social Web eine persönlichere Form der Kommunikation eröffnet. Dass all dies eine Chance bietet, die Welt zum Besseren hin zu verändern.

Die Fragen stellte Daniel Winkler

mehr Informationen
[www.xing.com | Wibke Ladwig | 05.12.2010 | 12:51]
[www.twitter.com | Sinn und Verstand | 05.12.2010 | 12:58]
[www.facebook.com | Sinn und Verstand | 05.12.2010 | 12:54]
[www.sinnundverstand.net | Wibke Ladwig | 05.12.2010 | 13:06]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert