Ist Literatur Männersache?

Autorin: Maja Schmatz

Lesezeit: 3 Minuten

 

Annie Ernaux hat 2022 als sechzehnte Frau einen Literaturnobelpreis für ihr Werk „Der junge Mann“ erhalten. Insgesamt gibt es 118 Preisträger:innen – davon sind 112 männlich.

Bis zum Jahr 2020 wurde der Nobelpreis an insgesamt 728 Männer verliehen. Frauen erhielten diese Auszeichnung bisher nur 56 Mal.

In der Kategorie Literatur sind es 16 Frauen, die sich im Laufe der Zeit gegen ihre männliche Konkurrenz durchsetzen konnten. Vergeben wurde der Preis jedoch mehr als 100 Mal. Diese Diskrepanz findet ihren Ursprung nicht darin, dass Frauen weniger produktiv in ihrem Schaffen waren, sondern hat vielmehr damit zu tun, das Literatur von Frauen lange belächelt wurde und gesellschaftlich verpönt war.

Die Preisträgerinnen

Die Schwedin Selma Lagerlöf legte 1906 den Grundstein als erste weibliche Preisträgerin in der damals noch kurzen Geschichte des Preises – dieser war 1901 zum ersten Mal vergeben worden. Ihr Hauptwerk „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“ ist auch heute noch ein Klassiker der Kinderliteratur. Auf sie folgten die Italienerin Grazia Deledda (1926) mit ihrem Roman „Schilf im Wind“, die Norwegerin Sigrid Undset (1928), die sich mit der weiblichen Emanzipationsbewegung befasste, und die Amerikanerin Pearl S. Buck (1938), welche den Preis für den Roman „Die gute Erde“ erhielt. Daraufhin bekamen die chilenische Dichterin Gabriela Mistral (1945) und die deutsch-schwedische Lyrikerin Nelly Sachs (1966) den Preis für ihre Werke verliehen. Doch dann folgte eine lange Pause in der Reihe der literarischen Frauen mit Nobelpreis. Erst 1991 wurde erneut eine Frau ausgezeichnet – und zwar Nadine Gordimer, eine südafrikanische Essayistin, die sich mit Apartheit beschäftigte.

Toni Morrison (1993) war die erste dunkelhäutige Frau, die ausgezeichnet wurde. Sie zählt auch heute noch zu den bedeutendsten afroamerikanischen Schriftsteller:innen aller Zeiten. In den vergangenen 20 Jahren wurde die Polin Wisława Szymborska (1996), die Österreicherin Elfriede Jelinek (2004), die Britin Doris Lessing (2007), die Deutsch-Rumänin Herta Müller (2009), die Kanadierin Alice Munro (2013), die belarussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch (2015), die Polin Olga Tokarczuk (2018), die Amerikanerin Louise Glück (2020) und zuletzt Annie Ernaux im Jahr 2022 ausgezeichnet. Und auch, wenn all diese Frauen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen stammen, vereint sie eine Sache: Sie alle haben gemeinsam, dass sie sich in ihrer Literatur kritisch zeigen – sei es gegenüber den Zuständen im eigenen Land, der Diskriminierung von Menschen oder der Gleichberechtigung.

Des weiteren zeigt diese Reihe an kreativen und mutigen Frauen eine Veränderung zum Besseren: Die Abstände zwischen den Preisträgerinnen in den vergangenen Jahren sind mittlerweile kürzer geworden. Waren es früher teils zwischen zehn und zwanzig Jahre, in denen nur männliche Schriftsteller ausgezeichnet wurden, sind es jetzt nur noch einstellige Jahresabstände.

„Der junge Mann“ von Annie Ernaux

Ernauxs Werk „Der junge Mann“ umfasst 40 Seiten. Was sich auf den ersten Blick schnell liest, hat es in sich. Viel Platz braucht die Geschichte nicht, die die Französin spinnt. Sie handelt von einer etablierten Schriftstellerin in ihren Fünfzigern und einem Studenten, dreißig Jahre jünger. Mit ihm hat sie ein Verhältnis in der Schaffensphase für ihr neues Buch. Mit dem Abgabetermin steht auch die Trennung an. Das ist ihr bewusst. Aber sie genießt das Leben, seine rebellischen Ansichten, die Studierendenarmut. Zwar thematisiert Ernaux, wie es sich anfühlt in der Öffentlichkeit mit solch einem Altersunterschied aufzutreten, aber vor allem geht es auch um Sex, Intimität und die Erinnerung an diese. Im Hintergrund, in einer Rahmengeschichte, erzählt die Schriftstellerin von einer Abtreibung in ihrer Jugend, die sie in kurzen Sequenzen heimsucht.

Länger als eine halbe Stunde dauert es nicht, Ernauxs Werk zu lesen. Dafür ist es eine intensive Zeit. Teils verwirrend und durcheinander, aber dafür mit viel Raum für Imagination und eigene Gedanken erzählt Annie Ernaux eine Geschichte, die den Leser mitreißt und ihm Perspektiven gibt. Es ist nicht eines der besten, kunstvollsten Bücher, die die Welt zu bieten hat, aber es ist sicher eines der wichtigeren. Und gerade wegen der Schlichtheit, die sich vor allem im Umgang mit den Themen wie Sex und Lust zeigt, bleibt dieses kurze Werk lange im Kopf und ist daher wert, gelesen zu werden.

Bildquelle Abb. 1: https://www.swp.de/kultur/literatur-nach-dem-wuerth-preis-der-nobelpreis-fuer-annie-ernaux-66918227.html (zuletzt besucht am 20.04.2023 12:25)

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